Charlotte Faltas im Interview zu Antiterrormaßnahmen2022-03-22T14:29:56+01:00

Charlotte Faltas im Interview zu Antiterrormaßnahmen

Charlotte Faltas ist seit Dezember 2019 Praktikantin am Centre for Humanitarian Action (CHA) und unterstützt dort das Forschungsprojekt Shrinking Humanitarian Space. In diesem Interview der Reihe „Gesichter rund ums CHA“ erklärt sie, womit sie sich beim CHA beschäftigt: Anti-Terrormaßnahmen und Sanktionsregime. Wie kommt es, dass humanitäre Helfer*innen verstärkt von der Kriminalisierung ihrer Arbeit berichten? Und was kann dagegen getan werden? Außerdem berichtet Charlotte, wie sie in Corona-Zeiten im Home-Office zurechtkommt und was sie in ihrer Masterarbeit untersucht.

Charlotte, du bist eine der Co-Autorinnen des vor kurzem erschienenen Debattenbeitrags „Anti-Terrormaßnahmen und Sanktionsregime: Shrinking Space für Humanitäre Hilfsorganisationen“. In drei Sätzen: Worum geht es?

Der Debattenbeitrag beleuchtet die negativen Auswirkungen und Herausforderungen sich überlappender und manchmal widersprechender Anti-Terrormaßnahmen und Sanktionsregime auf die humanitäre Hilfe und auf ihre Handlungsräume. Im Fachjargon spricht man bei letzterem auch vom humanitären Raum. Die Einhaltung von nationalen und internationalen Normen der Terrorismusbekämpfung auf der einen Seite und von Vorschriften und Zielvorgaben von Organisationen auf der anderen Seite führen oft zu Konflikten mit der Einhaltung der humanitären Prinzipien. Das hat zur Konsequenz, dass Hilfsorganisationen Menschen in größter Not nicht mehr erreichen können und humanitäre Hilfe schlimmstenfalls verhindert wird. Schauen wir beispielsweise nach Gaza: Dort erschweren Auswirkungen von Anti-Terrorismusmaßnahmen und Sanktionsregimen die ohnehin drängende humanitäre Notlage zusätzlich. Das betrifft beispielsweise Oxfam in den palästinensischen Autonomiegebieten oder Norwegian Peoples Aid in Gaza. Neben dem rechtlichen Regelwerk analysiert der Debattenbeitrag des Weiteren den deutschen Kontext und spricht Handlungsempfehlungen für Geber aus.

Welchen genuinen Beitrag kann das CHA zu Anti-Terrormaßnahmen und Sanktionsregimen leisten?

Ich glaube, dass das CHA dank seiner unabhängigen Position besonders geeignet ist, eine transparente Debatte zwischen humanitären Organisationen, Staaten und Gebern anzustoßen und zu stärken. Die derzeitige Politik des „Don’t ask, don’t tell“ erschwert einen solchen Austausch insbesondere im Bereich von Anti-Terrormaßnahmen. Um einen offenen Dialog zu fördern, ist es zunächst wichtig, Probleme zu identifizieren und sie zu benennen. Erst dann kann der derzeitigen Vermischung von politischen, militärischen und humanitären Zielen, die eine unabhängige Hilfe gefährdet, besser entgegengewirkt werden.  

Hast du ein Beispiel aus der Praxis, welches die Ergebnisse des Debattenbeitrags veranschaulicht?

Was ich sehr interessant finde, ist der stark zunehmende Einsatz von präventiven Maßnahmen, welche die Unterstützung oder Beteiligung von Einzelpersonen und Gruppierungen an gewalttätigem Extremismus verhindern sollen.  Diese Maßnahmen werden auch ‚Preventing / Countering Violent Extremism‘, kurz P/CVE genannt. P/CVE wird immer häufiger als Teil einer Strategie zur Terrorismusbekämpfung oder als Instrument zur Konfliktdeeskalation eingesetzt und in Geberpolitiken integriert. Die P/CVE-Agenda wurde von der UN in ihren Aktionsplan zur Verhütung von gewalttätigem Extremismus (2016) und in jüngster Zeit in den New Way of Working der UN aufgenommen. Da P/CVE-Ziele inhärent politisch sind, könnten dabei die Grenzen zwischen politischen, sicherheitspolitischen und humanitären Zielen weiter verwischt werden – und damit dem humanitären Grundsatz der Unparteilichkeit zuwiderlaufen. Da Geber viele Mittel für P/CVE bereitstellen, laufen humanitäre Organisationen Gefahr, sich von ihrer prinzipienorientierten humanitären Arbeit abzuwenden, sich politischen Zielen zuzuwenden oder ihre Programme lediglich als solche zu bezeichnen, um Projektgelder zu bekommen. Diese Entwicklung wurde in einer Studie des Norwegian Refugee Council (NRC) von 2018 festgestellt.

Neben deiner Tätigkeit am CHA schreibst du derzeit deine Masterarbeit zum Thema „The Legal Architecture of Counterterrorism Legislation and Sanction Regime: Impacts on Principled Humanitarian Action“ an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt Oder. Die Ergebnisse werden im Sommer in eine CHA-Publikation einfließen. Kannst du uns vorab schon ein bisschen mehr verraten – was ist deine Forschungsfrage?

Auch in meiner Masterarbeit konzentriere ich mich auf die vielschichtige Architektur von Gesetzgebung, Sanktionsregimen und Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung und deren problematische Beziehung zu sowohl internationalem Völkerrecht als auch zu prinzipiengeleiteter humanitärer Hilfe. Viele humanitäre Organisationen spüren derzeit den negativen – wenn auch unbeabsichtigten – Einfluss der Terrorismusbekämpfung auf ihre Arbeit, zum Beispiel durch umfassende Geberbedingungen, finanzielle Kontrollen und Kriminalisierung. Dies kann weitgehende Konsequenzen haben: Zwischen 2008 und 2010, nachdem die Vereinigten Staaten Al-Schabaab als terroristische Gruppe gelistet hatten, war beispielsweise in Somalia ein Rückgang der humanitären Hilfe um 88% zu verzeichnen.

Mein Forschungsziel ist daher, den rechtlichen Umfang der finanziellen und materiellen „Unterstützung“ für gelistete bewaffnete Gruppen (siehe Listen der USA, EU, UN) und die sich daraus ergebenden Risiken der rechtlichen Haftung und anderer Auswirkungen für humanitäre Organisationen zu untersuchen. Das ist sehr kompliziert, da rechtliche Vorschriften von sowohl Geber- und Empfängerländern als auch von Herkunftsländern der humanitären Organisation ausgehen können. Gesetzgebung und Sanktionsregime können in manchen Fällen sogar eine extraterritoriale Wirkung haben. Das bedeutet, dass Gesetzgebungen von Regierungen über Landesgrenzen hinweg gelten, wie das beispielsweise in den USA der Fall ist. Ich glaube allerdings, dass, obwohl viele Organisationen Verfolgung und Haftung fürchten, andere praktischere Auswirkungen weitaus dringender sein könnten, ungeachtet der Tatsache, dass gesetzliche Verbote offensichtlich problematisch sind.

COVID-19 hat alle CHA-Mitarbeitenden ins Home-Office verbannt. Wie kommst du mit der neuen Arbeitssituation zurecht und hast du für die Zeit, in der wir alle zu Hause sind und vermeintlich mehr Zeit zum Lesen haben, eine Buchempfehlung aus dem humanitären Bereich?

Am Anfang habe ich einige Zeit gebraucht, um mich an die neue Arbeitssituation zu gewöhnen, aber einen geregelten Arbeitsrhythmus beizubehalten und jeden Tag einen kleinen Spaziergang zu machen, hat bei mir Wunder gewirkt. Ich freue mich darauf, meine Kolleg*innen bald wieder off-screen zu sehen, sobald es die Situation erlaubt. Sorgen über die weltweiten Auswirkungen mache ich mir immer noch sehr. Ich hoffe, die Krise wird unser Denken zu nachhaltiger Entwicklung in Frage stellen und positiv zu mehr Zusammenarbeit und zu inklusiveren Ansätzen beitragen. Mich interessieren Bücher, die sich mit diesem Thema beschäftigen. Schon seit Längerem verfolge ich die Arbeit des niederländischen Historikers und Journalisten Rutger Bregman. Seine Sichtweisen zu Weltverbesserung und Chancengleichheit sind erfrischend, inspirierend und machen Hoffnung. In seinem letzten Buch „Im Grunde gut: Eine neue Geschichte der Menschheit“ setzt er sich mit dem Wesen des Menschen auseinander. Er widerlegt darin westliche Denktraditionen und Strukturen und ruft zu einem neuen, optimistischen Paradigma auf. Empathie, Nachsicht und Zusammenarbeit stehen dabei im Vordergrund.


Charlotte Faltas studiert International Human Rights and Humanitarian Law an der Europa-Universität Viadrina. In ihrer Masterarbeit mit dem Titel „The Legal Architecture of Counterterrorism Legislation and Sanction Regime: Impacts on Principled Humanitarian Action“ beschäftigt sie sich mit dem rechtlichen Spannungsfeld zwischen prinzipiengeleiteter humanitärer Hilfe und Anti-Terrormaßnahmen.

Das Interview wurde im April 2020 von CHA-Kommunikationsreferentin Lena Wallach geführt.