Die Route über das Mittelmeer gilt als eine der gefährlichsten weltweit. Allein 2019 mussten dort 1162 Menschen ihr Leben lassen. Was tun, in einer Situation, in der Menschen ertrinken, die Europäische Union größtenteils untätig zuschaut und zivile Seenotrettungsorganisationen von einer zunehmenden Kriminalisierung ihrer Arbeit berichten? Das war Thema des Lunch Talks, der organisiert von der International Organization for Migration (IOM) und SOS MEDITERRANEE am 28. November 2019 in den Räumlichkeiten von IOM in Berlin stattfand. Ziel der Veranstaltung war es, die aktuelle Lage der zivilen Seenotrettung im Mittelmeer und die Herausforderungen des Shrinking Humanitarian Space für Akteur*innen der humanitären Hilfe zu beleuchten.
Shrinking Civic Space und Shrinking Humanitarian Space
Kristina Roepstorff, die am Centre for Humanitarian Action (CHA) zum Thema Shrinking Humanitarian Space forscht, erläuterte den Teilnehmenden den konzeptionellen Unterschied sowie die Überschneidungen von dem Shrinking Civic Space und dem Shrinking Humanitarian Space. Der Shrinking Civic Space beziehe sich auf eine zunehmende Einengung der zivilgesellschaftlichen Handlungsspielräume. Beispielsweise durch die Einschränkung fundamentaler Rechte oder aber auch durch Diffamierungskampagnen und Drohungen gegenüber Aktivist*innen und NGOs. Beim Shrinking Humanitarian Space gehe es auch um Einschränkung von Handlungspielräumen, aber er beziehe sich auf den spezifischen humanitären Raum. Dieser sei gekennzeichnet durch den freien Zugang zu der betroffenen Bevölkerung und die Möglichkeit, Hilfe im Einklang mit den humanitären Prinzipien zu leisten. Dies wird auch aufgrund einer zunehmenden Kriminalisierung von humanitären Organisationen und Migrant*innen immer schwieriger.
Eine ausführliche Erläuterung des Shrinking Humanitarian Space im Kontext der Migration nach und in Europa kann man folgendem Debattenbeitrag entnehmen.
Kriminalisierung ziviler Seenotrettung
Eine Reihe an zivilen Seenotrettungsorganisationen versucht dem Shrinking Humanitarian Space etwas entgegenzusetzen und weiterhin Schutzsuchende vor dem Ertrinken zu retten. Darunter auch SOS MEDITERRANEE. Die Advocacy-Referentin der seit 2015 existierenden NGO, Jana Ciernioch, erläuterte Kriminalisierungsdynamiken des Shrinking Space: Neben toxischen Narrativen beobachte die Organisation administrative und rechtliche Hürden (Bsp. Entflaggung), formelle Strafverfolgung und die Einschüchterung humanitärer Helfer*innen.
Untermauert wurden diese Darstellungen von Kate Dearden, vom IOM Global Migration Data and Analysis Center (GMDAC). Forschungen des Missing Migrants Projekts zufolge, ein IOM-Projekt, das seit 2014 Daten zu Migration sammelt und auswertet, suchen derzeit zwischen 250.000 und 750.000 Familienmitglieder ihre Angehörigen. Besonders alarmierend sei die Lage im zentralen Mittelmeer.
Einig waren sich die teilnehmenden NGOs, Think Tanks, Wissenschaftler*innen und Bundestagsabgeordnete, dass ein Kräftebündeln und ein Schulterschluss der einzelnen Organisationen Abhilfe schaffen kann. In der Tat setzen immer mehr Organisationen auf eine verstärkte Zusammenarbeit: so zum Beispiel das neue, breit angelegte Aktionsbündnis United4Rescue, an dem unter anderem Sea Watch beteiligt ist.
SOS MEDITERRANEE ist eine europäische, maritime und humanitäre Organisation zur Rettung Schiffbrüchiger im Mittelmeer. Sowohl SOS MEDITERRANNEE als auch das Centre for Humanitarian Action (CHA) arbeiten zum Shrinking Humanitarian Space – eine Problematik, die nicht nur das Mittelmeer betrifft, sondern weit darüber hinaus geht. Mehr kann diesem Debattenbeitrag entnommen werden.
Die International Organization for Migration (IOM) ist die führende zwischenstaatliche Organisation im Bereich Migration. In Deutschland setzt sie in Berlin, Nürnberg, Frankfurt/Main und Brandenburg Projekte um. Das 2015 gegründete und ihr angegliederte IOM Global Migration Data and Analysis Center setzt sich für eine bessere Erfassung und Analyse internationaler Migration ein.