Autor*in: | Corinna Kreidler, Sonja Hövelmann und Alexandra Spencer |
Datum: | 11.10.2023 |
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Das Zusammenspiel von Narrativen, neuen außenpolitischen Ambitionen und innenpolitischen Interessen
Das internationale humanitäre System steht vor immer größeren Herausforderungen in Bezug auf Verhältnismäßigkeit, Effizienz, Wirksamkeit und Legitimität – Herausforderungen, die ohne politischen Willen nicht zu bewältigen sind.
Dieser politische Wille kann durch eine Vielzahl von Faktoren beeinflusst werden – unter anderem durch starke Narrative, die von Regierungen, Politikern, den Medien und den humanitären Organisationen selbst ausgehen. Um erfolgreich für humanitäre Hilfe argumentieren zu können, ist das Verständnis dieser Narrative ein Schlüssel: wie werden sie konstruiert, wie verändern sie sich im Laufe der Zeit und durch welche Mechanismen beeinflussen sie politische Entscheidungen.
Dieses Paper konzentriert sich auf Deutschland als Beispiel-Land. Der Aufstieg Deutschlands zum zweitgrößten Geber humanitärer Hilfe ist eine Ausnahme in einem humanitären System, das mit dem immerwährenden Problem der Angemessenheit zu kämpfen hat, bei dem die zunehmenden privaten und institutionellen Mittel nicht mit dem steigenden humanitären Bedarf Schritt halten können.
Wie haben die in der Bevölkerung, den Medien, der Regierung und den Hilfsorganisationen vorherrschenden Narrative die erhebliche Aufstockung des deutschen Budgets für humanitäre Hilfe ermöglicht und gerechtfertigt? Welche Rolle spielt die Schnittmenge der Storys, die die Akteure konstruieren und verbreiten, um humanitäre Hilfe zu rechtfertigen, und wie beeinflussen sie den politischen Willen der Entscheidungsträger*innen und die Entscheidungsprozesse?
Zentrale Erkenntnisse
- Der politische Wille und die Überzeugungen der politischen Entscheidungsträger werden nicht nur durch Fakten beeinflusst, sondern auch durch wirkungsvolle Narrative, die von Regierungen, Politikern, den Medien und humanitären Organisationen selbst ausgehen. Das Verständnis dieser Narrative und der Mechanismen, durch die sie politische Entscheidungen beeinflussen, ist der Schlüssel, um für humanitäre Hilfe zu argumentieren und die Budgets für humanitäre Hilfe zu erhöhen.
- Die Medienberichterstattung über die humanitäre Hilfe in Deutschland ist weitgehend wohlwollend, wenig an spezialisierten Debatten über humanitäre Politik interessiert und wirft kaum negative Schlagzeilen auf. Narrative über das moralische Gebot der Hilfe, Humanität und Solidarität blieben weitgehend unangefochten und schufen ein günstiges Umfeld für die Ausweitung des deutschen Budgets für humanitäre Hilfe.
- Das Zusammentreffen wechselnder außenpolitischer Ambitionen und Interessen mit einer unterstützenden Rolle der Medien und einer breiten öffentlichen Akzeptanz in Verbindung mit einer robusten Wirtschaftslage führte dazu, dass sich die Narrative als besonders überzeugend erwiesen.
- Die Akteure der humanitären Hilfe spielten eine wichtige Rolle bei der Nutzung und Verstärkung vereinfachender Narrative darüber, wie Hilfsmaßnahmen die Migration eindämmen können, obwohl sich das Gegenteil herausstellte. Dieses Narrativ wurde von deutschen Politikern und den Medien aufgegriffen und trug dazu bei, dass das Budget für humanitäre Hilfe, auch für Syrien und die Region, erhöht wurde.
- Es ist von großem, aber kurzfristigem Nutzen, wenn man – durch (falsche) Narrative – humanitäre Hilfe mit nationalen Interessen verknüpft. Ohne eine solide Grundlage kann dieses Narrativ und damit die Basis für humanitäre Hilfe jedoch sehr anfällig sein, wenn sich der Kontext ändert. Für Akteure der humanitären Hilfe kann es vorteilhafter sein, Hilfe mit langfristigen gesellschaftlichen Werten und einem Engagement für die humanitäre Hilfe an sich zu verknüpfen.