Autor*in: | Sonja Hövelmann und Ralf Südhoff |
Datum: | 19.10.2023 |
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Internationale Wahrnehmungen deutscher humanitärer Hilfe und die Folgen für Deutschlands Strategiefähigkeit
Vor dem Hintergrund von Deutschlands Entwicklung zum Top-Geber widmet sich dieses Forschungspapier den internationalen Wahrnehmungen des deutschen humanitären Engagements in den Bereichen Motive und Interessen, Potentiale und Wirkung.
Bei der Analyse von Motiven, Werten und Interessen der deutschen humanitären Hilfe schreiben die in Interviews und Survey befragten Personen Deutschland eine Funktion als ehrlicher Makler zu, der humanitäre Hilfe prinzipientreu und glaubwürdig vertritt. Dieses Bild ist unter den internationalen Stakeholdern deutlich positiver als unter in Deutschland ansässigen. Die Analyse der Finanzflüsse, welche humanitären Krisen Deutschland in welcher Höhe finanziert, konnte bestätigen, dass dies weitgehend bedarfs- und prinzipienorientiert erfolgt. Aus dieser Kohärenz und Glaubwürdigkeit lässt sich ein großes deutsches Potential bei der Gestaltung und Reform des humanitären Systems im Lichte seiner anerkannten Reformnotwendigkeiten ableiten.
Jedoch zeigt sich gerade bei der Frage, welche Schwerpunkte und Prioritäten Deutschland verfolgt, dass das Potential nicht ausgeschöpft wird. Hier ist das Thema antizipative Hilfe ein Positivbeispiel, wie strategisch Themen gesetzt und in verschiedenen Foren eingebracht werden. Jenseits dessen zeigt sich jedoch ein Strategiedefizit, humanitäre Policy-Themen über verschiedene Gremien und Prozesse kontinuierlich voranzubringen, da Deutschland bisher weder die ganze Breite der humanitären Themen noch ausgewählte Schwerpunkte in der nötigen Tiefe bespielt.
Dieses Bild geht auch einher mit einem wahrgenommenen Missverhältnis zwischen Deutschlands finanziellem Engagement auf der einen und seiner Gestaltungskraft und -willen (Policy-Wirkung) auf der anderen Seite. Allerdings zeichnet sich in den letzten Jahren eine Verringerung dieses Ungleichgewichts ab, seit Deutschland u.a. über internationale Prozesse wie den Grand Bargain oder seine Präsidentschaft in multilateralen Foren humanitäre Policy-Themen stärker gestalterisch mitbestimmt.
Dieser Entwicklung steht jedoch maßgeblich die strukturelle Aufstellung und administrative Ausstattung im Weg, wie etwa die vergleichsweise sehr begrenzten und durch kurze Verweildauer gekennzeichneten personellen Ressourcen für den Bereich humanitäre Hilfe. Das ausgeprägte quantitative Personaldefizit deutscher humanitärer Abteilungen, auch im Vergleich zu anderen Geberregierungen, wird zugleich auch auf Ebene der neuen Ministeriumsleitung nicht anerkannt. Außerdem konkurriert das deutsche Personal in Policy-Debatten mit weitaus besser und mit mehr thematischem Expertentum ausgestatteten anderen Geberregierungen. Besonders die schwach ausgebildete und stark über Berlin organisierte Außenstruktur wird in diesem Bereich als Defizit wahrgenommen.
Aus der Analyse des deutschen humanitären Policy-Engagements lassen sich zwei Handlungsmuster erkennen. Deutschlands konsultativer und kooperativer Ansatz wird von den internationalen Stakeholdern geschätzt und steht im Gegensatz zu anderen, deutlich agendatreibenderen führenden Gebern. Allerdings zeigt sich beispielhaft am Grand Bargain, dass das Vorgehen der überparteilichen Moderation gegenüber einer offensiveren Themensetzung zu der Wahrnehmung führt, dass Prozesse über Policies gestellt werden. Zudem liegen, trotz oder wegen seines finanziellen Einflusses, für die deutschen Diplomatinnen viele ungenutzte Potentiale im Bereich soft power, um Themen mit Partnern voranzubringen. Hier hat das Auswärtige Amt auf Berliner Ebene jüngst relevante Initiativen gestartet, u.a. mit einer erstmaligen ausführlichen Konsultation mit der US-Regierung in Berlin, einem Treffen Deutschlands mit skandinavischen Vertreterinnen (Schweden, Norwegen, Dänemark, Finnland) sowie regelmäßigen bilateralen Austauschformaten mit „liked-minded“ Partnern wie der Schweiz.
Hieraus leitet das Papier konkrete Handlungsempfehlungen ab.